Im US-Bundesstaat Kalifornien gelten seit knapp einem Jahr neue Platzvorgaben für Sauen. Das Gesetz bringt den nordamerikanischen Schweinefleischmarkt durcheinander.
Steigende Tierwohlanforderungen, sinkender Fleischabsatz und drohende Importe aus dem Ausland: Nein, hier geht es nicht um Deutschland. Kalifornische Schweinehalter stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie ihre deutschen Berufskollegen. Sie müssen sich seit Juli 2023 an die gesetzlichen Regelungen der Farm Animal Confinement Initiative halten. Das 2018 als Proposition 12 verabschiedete Gesetz legt Mindestplatzanforderungen für Nutztiere fest. Und gerade die Platzvorgaben für Schweine haben es in sich.
So müssen jetzt jeder Sau rund um die Belegung und in der Trächtigkeit mind. 24 ft² bzw. 2,2 m² Platz angeboten werden. Die Fläche soll nicht nur jederzeit frei zugänglich sein. Die Tiere müssen auch ihre Gliedmaßen ausstrecken und sich frei umdrehen können – ohne Hindernisse in einem vollständigen Kreis. Das kalifornische Landwirtschaftsministerium CDFA hat anhand der neuen Regeln eine Beispielbucht gebaut, die eine Fläche von knapp 4,6 m² aufweist. Für viele Betriebe war damit klar, dass kein Weg an der Gruppenhaltung vorbeiführt.
Der Abferkelbereich bleibt von den neuen Mindestplatzvorgaben zunächst unberührt. Fünf Tage vor dem Geburtstermin und während der Säugezeit dürfen Farmer ihre Sauen weiterhin fixieren.
Die neuen Tierwohlgesetze betreffen nicht nur die Erzeuger, sondern auch andere Akteure der Wertschöpfungskette. Zum Jahreswechsel trat die Proposition 12 nämlich vollständig in Kraft und nun darf in Kalifornien nur noch frisches Schweinefleisch verkauft werden, bei dessen Erzeugung die neuen Vorgaben für die Sauenhaltung erfüllt wurden.
Supreme Court lehnt klage ab
Der nationale Schweineproduzentenverband NPPC hält die neuen Tierwohlgesetze für eine staatliche Überregulierung, die Familienbetriebe im ganzen Land bedrohen. Sie schaden den Landwirten, erhöhen die Kosten für die Verbraucher und gefährden die Ernährungssicherheit. Dabei verweist der NPPC auch darauf, dass sich die US-amerikanische Schweinehaltung in einer Abwärtsspirale befindet. Wie das Landwirtschaftsministerium zu Jahresbeginn mitteilte, hielten die US-Farmer am 1. Dezember 2023 insgesamt nur noch rund 6 Mio. Sauen. Das bedeutet ein Minus von 3,3% zum Vorjahr und mehr als 200.000 abgebaute Sauenplätze innerhalb von sechs Monaten.
Zusammen mit der American Farm Bureau Federation legte der Verband deshalb im vergangenen Jahr Beschwerde gegen das Gesetz ein. Am Ende aber ohne Erfolg. Der oberste Gerichtshof der USA wies diese zurück.
Dass sich der NPPC vehement gegen den kalifornischen Tierwohlvorstoß stellt, hat auch damit zu tun, dass die dortige Schweineproduktion nicht annähernd ausreicht, um die Nachfrage in dem Bundesstaat zu bedienen. Ein Blick in die US-Landwirtschaftszählung (USDA Census of Agriculture) zeigt: Vor zwei Jahren gab es in Kalifornien 1.374 schweinehaltende Betriebe mit einem Gesamtbestand von 82.010 Schweinen. Das stellt weniger als 0,1% der Schweinefleischproduktion der USA dar. Im schweinedichtesten Bundesstaat Iowa wurden 2022 etwa 5.250 Farmen mit einem Gesamtbestand von 23,8 Mio. Schweinen gezählt.
Kalifornien importiert also große Mengen Schweinefleisch und ist damit eine wichtige Zieladresse für die Fleischverarbeiter in Iowa und anderen Bundesstaaten mit starker Veredlung. Nur wer einen Zugang zum kalifornischen Markt haben will, muss sich an die dort geltenden Gesetze halten. Angesichts des Importbedarfes des drittgrößten US-Bundesstaates müssten theoretisch etwa 8 bis 9% der nordamerikanischen Ferkelproduktion die neuen Tierwohlvorgaben erfüllen.
Diese Situation hat in den USA eine Diskussion darüber entfesselt, was das Land und was einzelne Staaten entscheiden dürfen. Zudem setzt sich z. B. eine Gruppe von Republikanern dafür ein, dass ein Gesetzentwurf zur Aufdeckung der Unterdrückung des Agrarhandels (EATS Act) auf den Weg gebracht wird. Dieser würde Bundesstaaten daran hindern, landwirtschaftliche Gesetze oder Standards für in anderen Staaten hergestellte Produkte einzuführen. Politische Gegner argumentieren, dieser Gesetzentwurf würde die landesweite Umsetzung von mehr Tierwohl untergraben.
Bis zu 40% MehrKosten
Fakt ist, dass die Erfüllung der neuen Tierwohlgesetze für die Schweinehalter ein teures Unterfangen ist. So belaufen sich die Kosten für den Bau von Proposition 12-konformen Ställen laut NPPC auf umgerechnet mindestens 3.100 bis 3.700 € pro Muttertier. Das liegt preislich etwa 25% bzw. 40% über der herkömmlichen Gruppenhaltung oder Einzelbuchtenhaltung. Hinzu kommen Kosten für die Zertifizierung.
Angesichts dieser enormen Mehrkosten dürften einige kalifornische Schweinehalter Abstand von den Tierwohl-Investitionen nehmen und stattdessen darauf bauen, dass ihr Schweinefleisch in andere Bundesstaaten vermarktet wird. Auch wenn Kalifornien nicht zu den bedeutendsten Produktionsstandorten zählt befürchten Marktexperten, dass dies zu einem Überangebot am nationalen Schweinefleischmarkt führen könnte.
Kosten Rauf, Absatz Runter
Erste Marktverwerfungen deuten sich bereits an. So sind die Preise für einige Fleischprodukte einer Studie der Giannini Foundation of Agricultural Economics zufolge nach dem 1. Juli 2023 um durchschnittlich 20% gestiegen. In die gleiche Richtung schlägt eine Analyse der Wirtschaftswissenschaftler des US-Landwirtschaftsministeriums auf Basis vorläufiger Einzelhandelsdaten. Demnach verzeichnet man z.B. bei Schweinelenden einen enormen Preisanstieg von 41% (siehe Übersicht) – und zwar eindeutig nach Inkrafttreten von Proposition 12 im Juli 2023.
So verwundert es nicht, dass der Anteil Kaliforniens am landesweiten Verbrauch von frischem Schweinefleisch deutlich von 10 auf 8% gesunken ist. Bei den Erzeugnissen, die nicht von den neuen Tierwohlgesetzen betroffen sind, gab es erwartungsgemäß keine nennenswerte relative Preisänderung.
Kann Deutschland liefern?
Die Debatten um die hohen Tierwohlstandards in Kalifornien werden in Europa aufmerksam verfolgt. Denn der Bundesstaat greift bei der Bedarfsdeckung auch auf ausländische Schweinefleischprodukte zurück. Einige internationale Lieferanten sind bereits nach den Anforderungen von Proposition 12 zertifiziert, so zum Beispiel das kanadische Bio-Schweine-Unternehmen duBreton und das britische Red-Tractor-Label, die große Chancen im kalifornischen Markt sehen. So bietet die National Sanitation Foundation (NSF) als erste Stelle die entsprechende Zertifizierung für britische Produzenten an.
Laut dem Schlachtunternehmen Vion wurden kürzlich auch einige Betriebe aus dessen Good Farming Balance-Konzept von den USA offiziell anerkannt. Das erste Schweinefleisch soll bereits nach Kalifornien geliefert worden sein. Vion erwartet, dass die neuen Tierwohlgesetze bald auch in anderen Bundesstaaten in Kraft treten und will die Entwicklungen im Auge behalten.
Während noch viele Schweinehalter in den USA auf die Umkehr des Gesetzes hoffen, haben sich große Fleischunternehmen, darunter z.B. Hormel, schon vor geraumer Zeit zu den neuen Standards bekannt. Bereits seit Januar 2022 entsprechen ihre in Kalifornien verkauften Produkte den neuen Anforderungen. Auch der große integrierte Schweinefleischproduzent Maple Leaf Foods aus Kanada hat mittlerweile auf Offenställe für tragende Sauen umgestellt. Auch die deutschen Exporteure sind an dem Thema dran. „Wir sind derzeit nicht für den Export in die USA zugelassen, bemühen uns aber darum“, erklärt Steffen Reiter, Geschäftsführer beim Verband der Fleischwirtschaft (VDF) und der Exportförderorganisation German Meat. Im zweiten Schritt dürften deutsche Behörden dann einzelne Betriebe zur Zulassung empfehlen. Aktuell könne Deutschland aber nur Wurstwaren aus Schweinefleisch in die USA liefern.
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