Laut EU-Taxonomie-VO soll auch die Landwirtschaft nachhaltiger arbeiten. Wer das nachweist, erhält zum Beispiel günstigere Kredite, sagt Prof. Enno Bahrs von der Uni Hohenheim.
Prof. Bahrs, warum müssen sich Sauenhalter und Mäster stärker mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen?
Das Ziel der europäischen Kommission ist mehr Nachhaltigkeit in allen EU-Wirtschaftssektoren. Das gilt somit auch für Veredler. Brüssel will dadurch die Stabilisierung der Ökosysteme der Erde vorantreiben. Die physikalischen und biologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten sollen nicht mehr überschritten werden.
Nachhaltigkeit ist für viele Landwirte schwer zu greifen. Was steckt genau dahinter?
Nachhaltigkeit bedeutet gemäß einer Konvention der Vereinten Nationen, den Bedürfnissen der heutigen Generation zu entsprechen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.
Letztlich sollen in einem Gleichklang die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele simultan maximiert werden. Ein Beispiel: Bei einer Maximierung des ökonomischen Ertrags sollen gleichzeitig die dafür benötigten Rohstoffe erhalten bleiben. Unter anderem durch eine verbesserte Kreislaufwirtschaft. Gleichzeitiges Ziel ist die Gesunderhaltung der Ökosysteme sowie der Schutz der Sozial- und Kultursysteme.
Wird es dafür einen neuen Rechtsrahmen geben?
Ja, die EU wird das Ziel im Rahmen des sogenannten Green Deals aufgreifen. Derzeit entwickelt die Kommission mit der „EU-Taxonomie-Verordnung“ ein Regelwerk, um private Investitionen stärker in nachhaltigere Wirtschaftsaktivitäten zu lenken.
Wer nachweisen kann, nachhaltig zu wirtschaften, wird zukünftig bei Banken und Versicherungen günstigere Kreditkonditionen bekommen.
Gilt das nur für größere Betriebe?
Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Sehr große bzw. börsennotierte Unternehmen bzw. Konzerne wie zum Beispiel Lebensmittelhändler oder Betriebe aus der Fleischindustrie müssen künftig in Nachhaltigkeitsberichten offenlegen, inwieweit sie ihr Handeln nach den Kriterien der europäischen Taxonomie-Verordnung ausrichten.
Dadurch erkennen Investoren sofort, wie nachhaltig ein Unternehmen agiert, in das sie Kapital investieren wollen. Die Firmen werden also bestrebt sein, besonders nachhaltig zu sein und erwarten das auch von ihren Lieferanten.
Damit sitzen auch die landwirtschaftlichen Veredelungsbetriebe mit im Taxonomie-Boot. Insbesondere die, die an die großen Verarbeiter bzw. den Einzelhandel liefern.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Schweinehalter?
Die EU möchte die ökologische Säule der Nachhaltigkeit zukünftig an sechs Umweltziele knüpfen. Deren Umsetzung soll durch die Einhaltung konkreter technischer Anforderungen im Rahmen der EU-Taxonomie gewährleistet werden. Die technischen Anforderungen eines Umweltziels dürfen dabei aber nicht dazu führen, dass damit die anderen Umweltziele negativ beeinträchtigt werden.
Zu den sechs Umweltzielen zählen der Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel, die nachhaltige Nutzung und der Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, der Übergang zur Kreislaufwirtschaft, die Reduzierung der Umweltverschmutzung sowie der Schutz und die Wiederherstellung von Biodiversität und der Ökosysteme.
Wo liegen die Chancen der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie und wie sehen Lösungen in der Nutztierhaltung aus?
Unsere Volkswirtschaft inklusive der Landwirtschaft wird u.a. durch den Green Deal mit seinen Nachhaltigkeitsbestrebungen möglicherweise den stärksten Transformationsprozess der vergangenen 100 Jahre durchmachen. Das Ziel ist eine postfossile Wirtschaftsweise.
Das hört sich zunächst dramatisch an. Jede Veränderung bietet aber auch Chancen. Wer sich heute bereits auf die Veränderung einstellt, könnte später am stärksten davon profitieren.
Für die Nutztierhaltung im Allgemeinen sowie für Ferkelerzeuger und Schweinemäster im Speziellen bedeutet das konkret, zukünftig z.B. noch weniger Treibhausgasemissionen zu verursachen, die Nährstoffe in den Wirtschafts- und Mineraldüngern noch effizienter zu verwerten, noch stärker regenerative Energien einzusetzen und das Biodiversitätsniveau weiter zu steigern.
Der Haken dabei ist: Ohne Zielkonflikte ist das kaum möglich. Jeder Veredler weiß, dass Gewinnmaximierung mit Umwelt- und Klimaschutz schnell in Konflikte gerät, wenn es z.B. um die Einhaltung von Tierwohlstandards, den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln oder die Verwendung fossiler Energien geht.
Viele Label werben mit dem Begriff Nachhaltigkeit. Ist das eigentlich zielführend?
Meiner Ansicht nach wird bei vielen Labeln ein erhebliches Maß an Greenwashing betrieben. Oft wird für Produkte mit nachhaltigen oder umweltschützenden Eigenschaften geworben, ohne diese ausreichend nachzuweisen. Ziel sollten möglichst wenige Label mit klaren sowie nachvollziehbaren und damit auch vertrauenswürdigen Aussagen sein.
Wie kann es aus Ihrer Sicht besser laufen?
Die EU verfolgt mit dem jüngsten Entwurf zu den sogenannten Green Claims das Ziel, dass Produkte und Dienstleistungen, die mit Nachhaltigkeit oder auch „umwelt- und/oder naturschützend“ werben, diese Eigenschaft auch nachweisen müssen, ähnlich der Vorgehensweise beim Biosiegel. Damit soll das Greenwashing soweit wie möglich vermieden werden.
Das ist meiner Meinung nach eine ebenso sinnvolle Vorgehensweise, wie Brüssels Plan, im Verlauf des nächsten Jahres ein EU-weit einheitliches Nachhaltigkeitslabel einzuführen. So könnte sowohl das Greenwashing eingedämmt als auch der bestehende irritierende „Labeldschungel“ in der Lebensmittelbranche ausgedünnt werden.
Wie bekommen wir bei Schweinefleisch mehr Nachhaltigkeit monetär umgesetzt?
Wer künftig nachhaltiger Schweinefleisch produziert, soll gemäß EU-Lesart stärker dafür honoriert werden. Inwieweit das möglich ist, wird die Zukunft zeigen.
Für Schweinefleisch wird es schwieriger werden, sich gegenüber nachweislich nachhaltigeren Fleischersatzprodukten zu behaupten. Besonders dann, wenn Verbraucher stärker auf Nachhaltigkeitseigenschaften anstatt Qualitätseigenschaften wie Geschmack oder Aussehen achten.
Was fordern Sie vom Handel, damit Tierhalter nachhaltiger wirtschaften können?
Klare, langfristig wirksame Vorgaben mit deutlichen und vertrauenswürdigen Preissignalen sind für die Schweinehalter ebenso hilfreich, wie für den Lebensmitteleinzelhandel auch. Zumindest dann, wenn der Handel Wert auf deutsche Produkte mit hohem Nachhaltigkeitsanspruch setzt.
Was muss die Politik tun?
Meine klare Botschaft ist: Wer grün handelt, aber rote Zahlen schreibt, kann der Gesellschaft langfristig nicht nachhaltig dienen. Die Politik der Ampelkoalition mit immer mehr Auflagen und fehlender Gegenfinanzierung sorgt aber dafür, dass genau das eintritt.
Deshalb benötigen wir möglichst zügig klare politische Signale mit entsprechenden Finanzierungssicherheiten. Die Veredler müssen in die Lage versetzt werden, langfristige und risikoreiche Investitionen mit Nachhaltigkeitswirkung finanzieren zu können. Das ist gegenwärtig nicht der Fall.
Ohne verstärkte Investitionen mit noch stärkeren Nachhaltigkeitsbestrebungen wird die deutsche Nutztierhaltung in ihrer bisherigen Breite nicht mehr wettbewerbsfähig bleiben und noch stärkere Nachwuchsprobleme als ohnehin bekommen.
Experten beklagen, dass in der geplanten EU-Taxonomie-Verordnung für Landwirte klare Regeln fehlen. Was fordern Sie?
Die EU hat im Kontext der EU-Taxonomie mittlerweile erkannt, dass die Landwirtschaft und damit auch die Nutztierhaltung schwer in normierten Rastern zu definieren ist. Im Gegensatz zu einer nachhaltigen Klospülung, der Fabrikproduktion oder einem nachhaltigen Warenhaus mit strukturierten Objekten sowie strukturierten Umwelten ist die Landwirtschaft mit unstrukturierten Objekten (Pflanzen und Tiere) sowie unstrukturierten Umwelten (landwirtschaftliche Außenwirtschaft) schwer nach einheitlichen physikalischen und biologischen Einheiten und Produktionsverläufen zu normieren.
Allein durch die unterschiedlichen topografischen und klimatischen Rahmenbedingungen eines landwirtschaftlichen Standorts entsteht eine Vielzahl an optimalen Nachhaltigkeitsoptionen, die nicht durch einfache und vereinheitlichte überregionale Normen abgedeckt werden können. Ich fordere von den Verantwortlichen in der Politik, dass hierauf Rücksicht genommen wird.
Wo können Tierhalter ansetzen?
Für Nutztierhalter ist die leichteste und pragmatischste Nachhaltigkeitsverbesserung der Einsatz von möglichst viel regenerativer Energie. Betriebswirtschaftlich kann sich das sehr gut rechnen. Darüber hinaus sind höhere Nährstoffeffizienzen, mehr Tierwohl und die noch stärkere Vermeidung von Treibhausgasemissionen ein erstrebenswertes Ziel.
Letztere sind jedoch zum Teil schwer mess- und kontrollierbar. Dennoch werden sich die Regeln der EU-Taxonomie zukünftig verstärkt daran orientieren.
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