Wer auf höhere Haltungsformen umstellen möchte, sollte immer die Vollkosten betrachten und nicht nur die Direktkostenfreie Leistung.
Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel (LEH) will sein Angebot von Fleisch aus höheren Haltungsformstufen weiter ausbauen. Besonders Aldi und Lidl preschen derzeit vor. Die beiden Discounter haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 rund 100% des Frischfleisches aus den Haltungsformen 3 (Frischluftstall) und 4 (Auslauf und Weide) anzubieten.
Die Bauern sehen solche Ankündigungen kritisch, denn es sind weiter viele Fragen unbeantwortet. Dazu zählen:
- Wie lange hält der Trend an und wie entwickelt sich die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher?
- Wann kommen endlich verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen für den Neu- und Umbau von Tierwohlställen?
- Wie lange haben die geforderten Kriterien Bestand?
- Wie sieht die Zahlungsbereitschaft der Handelspartner bzw. Abnehmer auf Dauer aus? Denn allein die höheren Flächenvorgaben gegenüber dem gesetzlichen Mindeststandard bzw. ITW-Standard treiben die Kosten nach oben.
- Mit welchen Vertragslaufzeiten kann der Landwirt kalkulieren? Und passen diese überhaupt zu den langen Abschreibungsfristen, die in der Landwirtschaft gelten?
- Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft? Ist Tierwohl demnächst plötzlich kein Thema mehr, weil der LEH umschwenkt und sich mehr auf den Klimaschutz konzentriert?
Geringere Zunahmen in HF 3
Die DLG hat im Rahmen ihres jährlich stattfindenden Forums „Spitzenbetriebe Schwein“ die teilnehmenden Betriebe nach deren Haltungsform gefragt und unter anderem den Einfluss dieser auf die Biologie und die Ökonomie ausgewertet. Grundlage sind die Daten von insgesamt 180 Schweine haltenden Betrieben – Ferkelerzeuger und Mäster – aus dem ganzen Bundesgebiet. Die hier in der Auswertung berücksichtigten Mastbetriebe wirtschaften größtenteils in Haltungsform 1 (Stall) und 2 (Stall+Platz).
Vergleicht man bei den biologischen Leistungsparametern rein die Mittelwerte ohne statistische Absicherung, dann fällt auf, dass Betriebe in der Haltungsform 3 im Schnitt knapp 50 g geringere Zunahmen erreichen (vergleiche Übersicht 1). Entsprechend geringer ist der Zuwachs je Quadratmeter Stallfläche. Auch die Futterverwertung fällt in Haltungsform 3 schlechter aus. Sie liegt 0,5 bis 0,6 Punkte höher. Unterstellt man aktuelle Futterkosten, kostet das den Landwirt rund 15 € pro Schwein.
Was zählt, sind die Vollkosten!
Das Defizit in der Biologie scheinen diese Betriebe ausgleichen zu können, wenn man den Blick auf die ökonomischen Kennzahlen wirft. Die Auswertung der ökonomischen Leistungen, die aufgrund der geringen Stichprobe nicht signifikant ist, deutet jedenfalls an, dass die Betriebsleiter die Mehrkosten für zum Beispiel GVO-freies Futter in Haltungsformstufe 3 in Höhe von 5 bis 6 € und die finanziellen Nachteile der schlechteren Futterverwertung durch höhere Erlöse ausgleichen können.
Wie Übersicht 2 auf Seite 50 zeigt, liegen die Direktkostenfreien Leistungen beim Frischluftstall mit knapp 58 € rund 34% höher als in Betrieben, die z.B. auf ITW-Standard (Stall+Platz) arbeiten.
Also haben doch all diejenigen recht, die immer sagen, dass sich die Haltungsform 3 für Schweinehalter rechnet? Mitnichten! Für Veredler gilt wie immer die Empfehlung, die Vollkosten zu betrachten und sich nicht von höheren Direktkostenfreien Leistungen blenden zu lassen.
Denn wenn im Rahmen einer Vollkostenauswertung auch die Arbeitserledigungskosten sowie die Technik- und Gebäudekosten in Höhe von 6 bzw. 20 € pro Schwein berücksichtigt werden, relativiert sich der vermeintliche wirtschaftliche Vorteil sehr schnell wieder. Real betrachtet haben die Betriebe unter dem Strich keinen Mehrwert, mehr Tierwohl ist sogar ein Minusgeschäft!
Die schlechte Wirtschaftlichkeit des Haltungsverfahrens und die fehlende langfristige Absatz- und Zahlungssicherheit dürften einer der Gründe sein, warum sich selbst Top-Betriebe schwertun, in höhere Haltungsformen zu investieren. Um das Ziel 100% Frischfleisch aus Haltungsform 3 und 4 bis 2030 zu erreichen, müssen Aldi & Co. deutlich bessere Konditionen anbieten als bislang. Andernfalls laufen sie Gefahr, dass die Rohstoffsicherheit aus Deutschland wegbricht.
Kürzere Abschreibung nötig
Auch bei einigen anderen Rahmenbedingungen muss dringend nachgebessert werden. Weil sich die Werte in der Gesellschaft, und damit auch das Kaufverhalten, immer schneller ändern, sind kürzere Abschreibungsfristen auf Stallgebäude nötig. Bei Abschreibungsfristen von 20 Jahren können Landwirte nicht entsprechend auf gesellschaftliche Trends reagieren.
Reden müssen alle Beteiligten der Wertschöpfungskette endlich auch über die Vertragslaufzeiten für Tierwohlfleisch. Die Laufzeiten der Abnahmeverträge und die Abschreibungsfristen müssen enger zusammenrücken. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wären Verträge mit mindestens sechs bis sieben Jahren Laufzeit und Abschreibungsfristen von maximal zehn Jahren akzeptabel.
Das treibt die Produktionskosten natürlich in die Höhe. Einer Berechnung der Schweinespezialberatung Schleswig-Holstein zur Folge, müsste der Mehrerlös für diese Haltungsform bei einem Investitionsvolumen von 100.000 € für den Umbau zum Frischluftstall und einer Abschreibungsdauer von fünf Jahren mindestens 50 Cent je kg Schlachtgewicht über Basispreis und ITW liegen.
Förderung: Vorsicht Falle
Kritisch sehen die am „Forum Spitzenbetriebe“ teilnehmenden Betriebe die Förderung von höheren Tierwohlstandards. Das aktuelle Bundesförderprogramm zum Beispiel enthält mehrere Hürden, die die Teilnahme deutlich unattraktiver machen.
Kritisch ist bei der investiven Förderung zum Beispiel die zwölfjährige Zweckbindung der Fördermittel. Und bei den laufenden Mehrkosten sehen viele Betriebe die Vorgabe 70% intakter Ringelschwanz zum Mastende als zu hohe Hürde.
Nach wie vor gilt: Wer von Haltungsformstufe 1 oder 2 auf höhere Stufen umstellen möchte, sollte zuerst Abnahmeverträge mit geprüften Konditionen abschließen und dann den Stall umbauen oder neu errichten. Jedes andere Vorgehen birgt ein zu hohes wirtschaftliches Risiko.
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Sven Häuser, DLG