Das Gesicht der Veredlung wird sich weiter massiv verändern. Wie sieht die europäische Schweinehaltung in 20 Jahren aus? SUS sprach mit Robert Hoste von der Universität Wageningen.
Wie wird der Schweinefleischverzehr im Jahr 2044 aussehen?
Mit steigender Weltbevölkerung und Wohlstand ist in der Vergangenheit der globale Fleischverzehr gestiegen. Allerdings sollten wir bedenken, dass in vielen aufstrebenden Schwellenländern nur wenig Schweinefleisch gegessen wird und der Eiweißwechsel, also mehr pflanzliche als tierische Proteine, das Wachstum ausbremst. Zudem beobachten wir einen Trend hin zu mehr Geflügelfleisch. Ich erwarte dennoch eine Zunahme bei der globalen Schweinefleischproduktion.
Wird sich die globale Verteilung der Schweineproduktion verändern?
Beim Bestandsausbau ist die Futtergrundlage ein wichtiges Thema. Deshalb erwarte ich in Süd- bzw. Nordamerika und Teilen Asiens eine Ausbreitung der Produktion. Afrika hätte Potenzial, aber hier fehlt das Futter. Westeuropa wird aus Umweltschutzgründen abstocken.
Was heißt das konkret?
In den Schweinehochburgen Deutschland, Niederlande und Dänemark wird es einen starken Rückgang geben, der sich bereits andeutet. Spanien wird ebenfalls betroffen sein, wenn auch nicht so deutlich. Fleischexporte außerhalb der EU werden künftig schwierig zu verteidigen sein. Der Grund sind die bereits heute in den Intensivregionen sichtbaren Umweltfolgen der Produktion. Die EU-Erzeugung wird sich durch 100%-Selbstversorgung und mehr Regionalität auszeichnen.
Also keine Transporte quer durch Europa?
Bei Schlachthälften und Fleischwaren besteht das Problem nicht. Ich bin mir aber sehr sicher, dass Lebendtransporte begrenzt werden, z.B. auf 500 km. Das würde bedeuten: Keine niederländischen Ferkel mehr nach Ost- und Südeuropa!
Wie sehen die Betriebsstrukturen in 20 Jahren aus?
Bei uns lehnen immer mehr Verbraucher große Stallungen ab. Die Herdengrößen an sich sollten nicht das Problem sein, sondern die Bestandsbetreuung und die Folgen bei auftretenden Tierkrankheiten. Auch die Brandschutzvorkehrungen sind für große Anlagen immens. Somit werden mittlere und große Familienbetriebe weiter überwiegen. Schweinehochhäuser, so wie in China, wird es aber nicht geben.
Werden die Schweinehalter ihre Stallungen erweitern?
Das wird an vielen Standorten nicht möglich sein. Andererseits haben kleinstrukturierte Betriebe oft Kostennachteile und müssen aufgeben. Der Strukturwandel geht also weiter und die Bestandsgrößen dürften moderat zunehmen.
Moderne Haltungsformen werden oft kritisiert. Wie sehen die Ställe künftig aus?
Mehr Platz und Tageslicht, Spielmaterial, freies Abferkeln und keine Eingriffe wie Zähneschleifen oder Schwanzkupieren. Ob sich Strohhaltungen wieder etablieren, bleibt abzuwarten. Aus Tierschutzgründen vielleicht, aber die Einstreu hat auch mehrere Nachteile.
Können wir auf das Schwänzekupieren verzichten?
Die Frage ist nicht, ob man darauf verzichten kann, sondern wie. Hier kommt es auf das Management und das Fingerspitzengefühl der Landwirte an. Ich glaube, dass nur sehr gute Fachkräfte und Tierbeobachter unkupierte Schweine halten können. Wer dazu in der Lage ist, könnte zukünftig wirtschaftlich erfolgreicher sein, als der Verhandlungsprofi im Futtereinkauf oder der Viehvermarktung.
Welche Technologien nutzen die Schweinehalter in 20 Jahren?
Arbeitskräfte werden fehlen und der Betreuungsaufwand steigt weiter. Reinigungsroboter, elektronische Tierkennzeichnung oder die KI-gesteuerte Überwachung des Verhaltens werden immer interessanter. Künftig wird noch mehr nach „Management by Exception“ gearbeitet. Der Mitarbeiter bekommt mehr Verantwortung und die Führungskraft greift erst dann ein, wenn bestimmte Toleranzgrenzen überschritten werden.
Wie viele Schweine kann ein Mitarbeiter künftig betreuen?
Das hängt natürlich vom Stall und der Betriebsgröße ab. Aber sagen wir drei Personen für 800 Sauen, oder eine Person für 5.000 Mastschweine müsste machbar sein, trotz gehobener Tierschutzauflagen.
Was ändert sich in der Fütterung?
Futter wird teurer, auch weil die EU den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiter beschränken will. Experten gehen davon aus, dass der Green Deal zu einem Preisanstieg von 15% führen wird. Das heißt, dass die Züchter und Schweinehalter zunehmend auf die Futtereffizienz achten müssen. Es gibt hier erhebliche Unterschiede zwischen den Betrieben.
Wird Getreide und Soja die Basis bleiben?
Solange Schweine Rohstoffe fressen, welche auch für den menschlichen Verzehr geeignet sind, wird es einen Wettbewerb um diese geben. Daher sollte die Branche noch mehr auf die Resteverwertung aus der Lebensmittelindustrie und Kreislaufwirtschaft setzen. Eiweißfutter aus Übersee wird weiter eingesetzt, aber weniger und vor allem bedarfsorientierter.
Wie sieht die wirtschaftliche Situation der Schweinehalter im Jahr 2044 aus?
Der Verbraucher möchte günstig einkaufen und aktuell ist in der EU ausreichend Schweinefleisch vorhanden. Solange sich diese zwei Vorzeichen nicht ändern, bleibt der Preisdruck.
Wo kann man denn hier ansetzen?
Aus dieser Falle kommen wir heraus, wenn wir echte Partnerschaften in der Kette aufbauen. Einzelhandel, Fleischindustrie und Landwirte sollten langjährige Verträge anstreben und auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Bedeutet: Jeder sollte sein Stück vom Kuchen abbekommen, aber auch das unternehmerische Risiko mittragen. Außerdem macht man sich gemeinsam daran, die Kette effizienter aufzustellen und Kosten einzusparen.
Wie ist es um das Image von Schweinefleisch bestellt?
Der Einzelhandel hat hier eine große Verantwortung. Fleisch sollte nicht als Lockartikel eingesetzt werden. Also keine Preisnachlässe mehr und nicht den Fokus auf Verkaufsmengen legen. Stattdessen stellt man heraus, das Fleisch in Maßen und in guter Qualität ein wichtiger Teil der Ernährung ist. Nicht das Viele ist gut, sondern das Gute ist viel wert.
Können umweltschädliche Emissionen künftig unterbunden werden?
Es werden neue Lösungen entwickelt, z.B. Kot und Harn sofort zu trennen und die Ammoniakemissionen zu reduzieren. Die Kosten dafür sind hoch. Deshalb sollten wir uns ein Beispiel an der Industrie nehmen. Die arbeitet auch daran, die Emissionen bestimmter Gefahrenstoffe zu reduzieren und gibt die Zusatzkosten dafür in der Regel an die Kunden weiter.
Was passiert, wenn Deutschland Alleingänge beim Tierwohl anstrebt?
Das ist gefährlich, weil die Kosten steigen und keiner dafür zahlen will. In Großbritannien wurde 1999 die Gruppenhaltung für tragende Sauen eingeführt. Die EU folgte erst in 2013 und die britische Produktion halbierte sich. Auch Schweden oder Finnland haben wegen hoher Tierschutzauflagen Schwierigkeiten. Das kann auch den Niederländern passieren, wenn ein Schwanzkupierverbot ab 2030 durchgesetzt wird.
Was empfehlen Sie?
Neue Auflagen sollten grundsätzlich nur auf der Ebene, wo der Preis zustande kommt, angeordnet werden. Und das ist die EU. Nur wenn der Verbraucher höhere Auflagen wünscht und die Mehrkosten komplett übernimmt, sind Verschärfungen vertretbar und führen nicht zu Produktionsrückgängen.
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