Kritiker prangern oft den hohen Selbstversorgungsgrad beim Schweinefleisch an. Doch die Importquoten bei den begehrten Edelteilen und Ferkeln sprechen eine andere Sprache.
Wird auf politischer Ebene über die Zukunft der deutschen Veredlung diskutiert, führen die Kritiker gerne den Selbstversorgungsgrad (SVG) für Schweinefleisch ins Feld. Der lag nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Jahr 2022 bei knapp 126%. Deutschland erzeugt also augenscheinlich wesentlich mehr Fleisch, als im eigenen Land verzehrt wird. Ein gefundenes Fressen für all diejenigen, die einen massiven Abbau der Tierbestände fordern.
Doch so einfach ist es nicht. Das Schlachtschwein wird in verschiedene Teilstücke zerlegt und abhängig von den Verzehrgewohnheiten im jeweiligen Land bzw. Kulturkreis werden diese unterschiedlich stark nachgefragt. Bedeutet: Deutschland produziert nicht über den eigenen Bedarf. Im Gegenteil. Durch den massiven Strukturwandel in der Schweinehaltung machen wir uns bei der Versorgung mit den beliebtesten Fleischartikeln immer abhängiger vom Ausland.
Wie wird der SVG berechnet?
Blickt man zunächst übergeordnet auf den deutschen Selbstversorgungsgrad, lässt sich festhalten, dass dieser leicht über dem Durchschnitt in der Europäischen Union liegt. Der bewegte sich nach Schätzungen der EU-Kommission im Jahr 2022 bei um die 121% (siehe Übersicht 1). Den Spitzenplatz im Länder-Ranking nehmen die Dänen ein, die einen Selbstversorgungsgrad von mehr als 600% aufweisen. Auf dem zweiten Platz folgen mit großem Abstand die Niederlande mit gut 300%.
Hinter diesen Prozentwerten als statistische Durchschnittszahlen steht eine rechnerische Größe, die sich aus dem Verhältnis von Bruttoeigenerzeugung zum Verbrauch errechnet. Die Eigenerzeugung wird dabei in Tonnen Schlachtgewicht angegeben, wobei hier nicht nur die Schlachttiere eine Rolle spielen. Denn um auf die Bruttoeigenerzeugung zu kommen, werden der Gesamtmenge des in Deutschland produzierten Schweinefleisches die Im- und Exporte von Lebendvieh abgezogen bzw. zugerechnet. Und auf unseren SVG hat dies einen erheblichen Einfluss.
Ferkelimport großer Faktor
Die deutsche Veredlung weist nämlich ein Ferkeldefizit auf, und um die hiesigen Mastställe zu füllen, wurden im vergangenen Jahr 8,8 Mio. Jungtiere allein aus den Niederlanden und Dänemark eingeführt. In der Berechnung der Eigenerzeugung werden die Importferkel mit ungefähr 21 bis 22 kg in Abzug gebracht. Dahinter steckt ein angenommenes Lebendgewicht von etwa 27 kg und eine Ausschlachtung von 79%.
Während die Menge an exportierten Schlachttieren im vergangenen Jahr mit umgerechnet 64.000 t eher überschaubar war, fiel der Import von 1,2 Mio. Schlachtschweinen schon schwerer ins Gewicht. Hierfür wurden bei 95 kg Schlachtgewicht (SG) je Tier rund 114.000 t angesetzt. Durch diese Auf- und Abschläge ergab sich für 2022 eine Bruttoeigenerzeugung von gut 4.248.000 t.
Bei dieser Berechnungsart ist zu beachten, dass die hier gemästeten Importtiere zum Großteil der deutschen Bruttoeigenerzeugung zugerechnet werden (bei 95kg SG ca. 74 kg in Deutschland und 21 kg im Ausland). Und das, obwohl angefangen bei der Besamung der Sau zeitlich und finanziell ein großer Teil des Produktionsprozesses im Ausland stattfindet. Dieses Problem der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung lässt sich kaum auflösen. In Diskussionen um einen vermeintlich hohen deutschen SVG sollte dieser Umstand aber berücksichtigt werden.
Unterversorgung beim Filet
Genauso angebracht ist auch ein Blick auf die Unterteilung der erzeugten Fleischmenge in Produktsegmente bzw. Vermarktungskanäle. So lassen sich z.B. große Teile des Schlachtkörpers, wie Speck, Fettwaren, Ohren, Backen und Füße in den erzeugten Mengen im deutschen bzw. europäischen Markt kaum noch absetzen.
Als ein gutes Beispiel dienen die Innereien. 1990 verzehrte davon jeder Deutsche im Schnitt 5 kg pro Jahr. 30 Jahre später waren es nur noch 300 g. Diese Mengen müssen heute im Sinne einer ressourceneffizienten Verwertung in Länder exportiert werden, wo die Verbraucher solche Fleischwaren nachfragen. Ansonsten verbleibt nur der Weg ins Tierfutter oder die Entsorgung.
Deutsche Konsumenten bevorzugen magere Teilstücke wie Schinken, Kotelett, Lachs oder Filet. Die sogenannten Edelteile machen aber nur etwa 60% des Schlachtkörpers aus. Bedeutet: Der reale SVG in der Bundesrepublik liegt deutlich niedriger und bei den wirklich stark nachgefragten Fleischerzeugnissen teilweise schon seit Jahren weit unter 100%.
Das spiegeln auch die hohen Schweinefleischimporte wider, die in jüngster Vergangenheit immer die Marke von 900.000 t pro Jahr durchbrachen. Beim Schweinefilet, dem beliebtesten Teilstück der Deutschen, wird schätzungsweise ein Viertel der Bedarfsmenge vornehmlich aus Belgien, Dänemark und den Niederlanden eingeführt.
Nur noch 1,39 Mio. Sauen
Auch wenn wir in der Wertschöpfungskette Schwein ein paar Schritte zurückgehen und auf die Versorgung mit Ferkeln blicken, kann von einer Überschussproduktion keine Rede sein. Das hat verschiedene Gründe. Die deutschen Sauenhalter sehen sich seit Jahren nicht nur mit tiefen Preistälern, sondern auch immer neuen gesetzlichen Regelungen konfrontiert. Dazu zählen kosten- und arbeitsintensive Maßnahmen zum vollständigen Kupierverzicht und verschärfte Haltungsvorgaben für die Sauen im Deckzentrum bzw. Abferkelstall.
Da verwundert es wenig, dass der Ferkelimport lange Zeit massiv zunahm, während der eigene Sauenbestand an Substanz verlor. Heute werden den jüngsten Viehzählungsergebnissen aus dem Mai zufolge nur noch 1,39 Mio Sauen in Deutschland gehalten. Vor zehn Jahren lag der Bestand bei rund 2 Mio. Tieren. Vorläufig scheint die große Aufgabewelle in der Sauenhaltung etwas abzuflachen. Dennoch dürften sich die bevorstehenden Umbaumaßnahmen in der Sauenhaltung auch zukünftig weiter negativ auf die Bestandsentwicklung auswirken.
Prognose: Ferkel-SVG bei 80%
Dass wir angesichts dieses erschreckenden Bestandsverlustes längst nicht mehr an die 11,6 Mio. Ferkel herankommen, die 2017 aus dem Ausland (siehe Übersicht 2)eingeführt wurden, hängt mit dem Abbau der Mastkapazitäten zusammen. Auch hier hat der Strukturwandel hart zugeschlagen und im vergangenen Jahr sind abzüglich der importierten Schlachttiere knapp 46 Mio. Schweine an den Haken gekommen. Vor acht Jahren waren es mehr als 55 Mio. Tiere.
Angesichts dieser Entwicklung auf der Abnehmerseite und den immer noch steigenden biologischen Leistungen in der Sauenhaltung ist eine Schätzung des Selbstversorgungsgrades für die nächsten Jahre schwierig. Bei rückläufigen Mastkapazitäten könnte die Eigenversorgung mit deutschen Ferkeln theoretisch sogar leicht zunehmen. Nimmt man an, dass wir mittelfristig etwa 42 Mio. deutsche Mastschweine erzeugen, dürften knapp 34 Mio. Ferkel, sprich 80%, aus den heimischen Sauenställen kommen.
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Dr. Albert Hortmann-Scholten, LWK Niedersachsen, Klaus Kessing, ISN