Weniger Nutztierhaltung löst nicht die Klimaprobleme

Aus Sicht der FAO muss die Nutztierhaltung effizienter werden, um die Weltbevölkerung zu ernähren.

Dr. Thanawat Tiensin, FAO-Direktor für Tierproduktion und Tiergesundheit, und Dr. Dominik Wisser, FAO-Systemanalyst, fordern im SUS-Interview mehr Effizienz in der Nutztierhaltung. Nur so lassen sich einerseits die Treibhausgasemissionen senken und andererseits 10 Mrd. Menschen ernähren.

SUS: Dr. Tiensin, Kritiker sehen in der intensiven Nutztierhaltung den Hauptgrund für den Anstieg der Treibhausgasemissionen. Wie beurteilt die FAO die Rolle der Tierhaltung?

Tiensin: Die Nutztierhaltung trägt natürlich wie andere Wirtschaftszweige auch zum Klimawandel bei. Der Tierhaltung die Hauptschuld für den menschengemachten Klimawandel zu geben, ist aber völlig überzogen. Laut unseren Berechnungen war der Nutztiersektor im Jahr 2015 weltweit für etwa 6,2 Gt (Gigatonnen) CO2-Äquivalente verantwortlich, das entsprach etwa 12 % der globalen Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen). Berücksichtigt sind in der Berechnung die vor- und nachgelagerten Emissionen, die unmittelbar mit der Nutztierhaltung in Verbindung stehen. Wenn wir nicht gegensteuern, landen wir im Jahr 2050 voraussichtlich bei über 9 Gt, ein Plus von 46 %. Es ist sicher, dass die Emissionen für die gesamte Nahrungsmittelproduktion zur Zeit etwa 30 % der menschengemachten Emissionen ausmachen.

Warum rechnen Sie mit einem weiteren deutlichen Anstieg der Emissionen aus der Nutztierhaltung?

Wisser: Der Anstieg der THG-Emissionen aus der Nutztierhaltung ist zuallererst eine Folge des globalen Bevölkerungswachstums, der zunehmenden Urbanisierung und dem steigenden Einkommen in Schwellenländern wie Indien, China usw.

Bis zum Jahr 2050 werden wir auf der Erde fast 10 Mrd. Menschen ernähren müssen. Wir gehen davon aus, dass der weltweite Gesamtbedarf an tierischem Eiweiß bis zum Jahr 2050 im Vergleich zum heutigen Niveau um mindestens 20 % steigt. In Ländern mit niedrigem und mittleren Einkommen teils um bis zu 100 % - vor allem in Afrika. Dementsprechend wachsen auch die Tierbestände.

Welchen Anteil hat die globale Nutztierhaltung an den globalen Treibhausgasemissionen - aufgeschlüsselt nach Rindern, Schweinen und Geflügel?

Wisser: 62 % der Emissionen stammen aus der Lieferkette von Rindern, 14 % von Schweinen und 9 % von Hühnern. Diese Emissionen umfassen alle Produktionsprozesse, die mit dem Lebenszyklus tierischer Produkte zusammenhängen.

Wie können wir mehr Lebensmittel produzieren und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf das Klima reduzieren?

Tiensin: Entscheidend ist, dass wir effizienter arbeiten und Haltungsverfahren optimal managen. Die Steigerung der Produktivität und die effiziente Nutzung von natürlichen Ressourcen in der gesamten Wertschöpfungskette ist der vielversprechendste Weg zur Reduzierung von Emissionen, zur Förderung der Nachhaltigkeit und zur Eindämmung des Klimawandels.

Mit welchen klimatischen Folgen müssen wir rechnen, wenn wir hochmoderne Ställe in Europa leer stehen lassen und die Produktion in weniger produktive Länder abwandert?

Tiensin: Das wird die Emissionen in Europa zwar reduzieren, sie an anderen Orten jedoch erhöhen. Ich gehe davon aus, dass die Emissionen unter dem Strich dann noch stärker ansteigen. Wir sollten vor dem Hintergrund der zahlreichen Diskussionen zuerst eine genaue Betrachtung der Gesamtauswirkungen von Produktionsverlagerungen durchführen. Ich rate dazu, dass wir die Diskussion versachlichen und die Debatte auf wissenschaftlicher Basis führen und uns die vorliegenden Daten genau ansehen.

Welche Potenziale sehen Sie in der regionalen Produktion von Lebensmitteln?

Wisser: In der Nutztierhaltung sind Lieferketten immer internationaler ausgerichtet. Die Futtermittelproduktion z.B. ist mittlerweile weitestgehend von der Tierproduktion entkoppelt. Das kann dazu führen, dass mehr natürliche Ressourcen verbraucht werden. Wir können negative Auswirkungen verringern, wenn wir hier gezielt gegensteuern. Eine Futterstrategie, die mehr auf heimische Produktion abzielt, kann vorteilhaft sein, weil regionale Nährstoffkreisläufe die Nachhaltigkeit dank kurzer Transportwege sehr viel mehr stärken als wenn viele Inputmaterialien wie das Futter aus Übersee herangeschifft werden müssen. Auch wenn die Emissionen hauptsächlich bei der Produktion und nicht beim Transport entstehen.

Hilft es dem Klima, wenn Verbraucher verstärkt auf pflanzliche Proteine umsteigen?

Tiensin: Ein verringerter Konsum von tierischen Lebensmitteln oder die Umstellung auf eine vegane Ernährung wird einen geringeren Einfluss auf die globalen Gesamtemissionen haben als oft behauptet wird. Denn wenn Verbraucher tierische Produkte meiden, müssen die hochwertigen Proteine in der Ernährung beispielsweise durch Gemüse und Obst ersetzt werden. Um den Bedarf zu decken, müsste die Produktion in Treibhäusern deutlich hochgefahren werden oder sie müssten importiert werden. In beiden Fälle steigt der Energieverbrauch massiv.

Außerdem ist zu bedenken, dass in vielen Regionen der Welt, insbesondere in sehr trockenen und trockenen Gebieten, Proteine aus tierischer Nahrung die einzige verfügbare Quelle für hochwertiges Protein sind.

Ist In-vitro Fleisch eine Alternative?

Tiensin: Momentan nicht wirklich. Zwar forschen weltweit über 100 Unternehmen an der Entwicklung von sogenanntem Kunstfleisch. Der CO2-Fußabdruck dieser Produkte dürfte aber groß sein, weil bei der Herstellung viel Energie benötigt wird. Genaue Zahlen haben wir noch nicht, weil Zellfleisch bislang nur unter Laborbedingungen hergestellt wird. Spannend wird sein, wie der Klimafußabdruck bei einer Produktion in großem Stil aussehen wird. Allerdings gilt es dabei auch andere Kriterien als nur den CO2-Fußabdruck zu beachten.